Können wir uns ohne Atom und Kohle mit Strom versorgen? Auch ohne Erdgas?

 Informationen für UmweltschützerInnen No 2022-2 – Überlegung Jan. 2022, aktualisiert April 23, aktualisiert Nov. 2024 

Können wir uns ohne Atom und Kohle mit Strom versorgen? Auch ohne Erdgas? 

 Einige fragen mich jetzt, ob wir nach dem Abschalten der AKW noch genügend Strom haben werden? Zur Erinnerung: 1988 wurde der Höhepunkt der Atomkraft in Deutschland überschritten. Damals liefen 27 AKW in Deutschland https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Kernreaktoren_in_Deutschland 

 Die Bundesregierung hat 2022 große notwendige Ausbauziele gesetzt: „Bereits im Jahr 2030 sollen mindestens 80 % des Stromverbrauchs in Deutschland aus Erneuerbaren Energien stammen. Das bedeutet fast eine Verdoppelung des Anteils am Gesamtstromverbrauch innerhalb von weniger als einem Jahrzehnt. In absoluten Zahlen ist die Aufgabe noch größer, denn gleichzeitig wird der Stromverbrauch unter anderem durch die zunehmende Elektrifizierung von Industrieprozessen, Wärme und Verkehr ansteigen. Bis zu 600 Terawattstunden (TWh, Milliarden kWh) Strom sollen bis 2030 jährlich aus erneuerbaren Energien erzeugt werden, heute sind es etwa 240 TWh.“ Quelle 23.9.22. Der Stromverbrauch könnte dann 50 % höher sein. 

Uns haben die technischen Fortschritte bei Batterien, PV, Stromleitungen und Windkraft sehr geholfen. 

Schlaglichter: 

  • Der Strom aus großen PV-Anlagen kostet heute 90 % weniger als vor zwanzig Jahren. Die Installation von PV auf den Dächern macht Freude und ist meistens wirtschaftlich. 
  • Der Strom aus modernen großen Windkraftanlagen (WKA) kostet heute nur noch etwas mehr als die Hälfte wie vor zehn Jahren. 
  • Der Transport von Strom über moderne HGÜ-Leitungen (Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung) hat heute fast 50 % weniger Stromverlust als der über herkömmliche HDÜ-Leitungen (Hochspannungsdrehstromübertr. ≈ 380 kV) und kostet dadurch weniger. 
  • Eine Kilowattstunde Speicherkapazität in einer großen Batterie (> 400 MW und 800 MWh; 1 MW = 1000 kW) kostet heute über 90 % weniger als vor zehn Jahren. 
  • Das Strompreisdumping durch Atom-, Erdgas- und Kohlekraftwerke, die ihre Folgekosten für Atomrisiken und Atommüll wie auch Klimaschäden auf die Gesellschaft und insbesondere unsere Nachkommen abschieben, geht zu Ende. Das macht die Strompreise ehrlicher und gerechter. Hierdurch werden beispielsweise vorhandene kleinere Wasserkraftwerke mit Umgehungsgerinne wirtschaftlich. Ebenso Biogasanlagen, die mit Gasspeichern und zusätzlicher Generatorkapazität („Überbauen“) für die gesteuerte Stromerzeugung nachgerüstet werden. 

Beispiel für den technischen Fortschritte: Anfang 2006 wurde in Seligweiler an der Autobahn A8 auf Höhe Ulms in Sichtweite des AKW Gundremmingen die damals wohl größte Windkraftanlage (WKA) Bayerns errichtet. Eine G87 mit 2 MW (2 Megawatt = 2000 kW), Rotordurchmesser 87 m, Nabenhöhe 78m. Lieferant war die spanische Firma Gamesa, heute Siemens-Gamesa. Diese WKA liefert im Schnitt knapp 3 Mio. kWh/a (Kilowattstunden pro Jahr). 

Unsere Bürgerinitiative hat sie bald besucht und dort auch energiepolitische Diskussionen veranstaltet. Damals habe ich zweifelnd gerechnet: Das AKW Gundremmingen liefert mit seinen 2 Blöcken zusammen rund 21 TWh/a. Man bräuchte also für dieselbe Strommenge (zur Versorgungssicherheit siehe unten) 7.000 solcher Windkraftanlagen. 

Heute, 18 Jahre später, würde man an derselben Stelle mit einer modernen WKA gut das Vierfache im Jahr produzieren. Und somit wären nur noch rd. 1700 WKA erforderlich, um die gleiche Strommenge zu erzeugen wie früher das AKW Gundremmingen mit seinen zwei Reaktoren geliefert hat. Das AKW Gundremmingen deckte etwa ein Viertel des bayerischen Stromverbrauchs. 

Grob kalkuliert: Die Windkraft soll zukünftig gut zwei Fünftel unserer Stromversorgung bewerkstelligen. Weitere zwei Fünftel die Photovoltaik (PV). Ein Fünftel jeweils zur Hälfte die Bioenergie und die Wasserkraft. Wir hoffen, dass auch die Geothermie noch ein nennenswerter Stromversorger werden wird. 

Versorgungssicherheit. Dieser MIX aus verschiedenen Erneuerbaren Energien (EE) mit unterschiedlicher Wetter- und Jahreszeitabhängigkeit ist wichtig, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Hinzu kommen vier Bausteine: 1) Lastmanagement (Anpassung flexibler Stromverbraucher an das Dargebot von EE-Strom), 2) zur Nutzung der Wetterunterschiede großräumige Verteilung und Vernetzung der Anlagen, 3) Bau von Speichern, 4) Reservegaskraftwerke für immer weniger Stunden im Jahr. 

Wir werden nicht allen nötigen Windstrom in Bayern erzeugen, sondern auch einigen aus dem Norden und auch von der See kaufen. Dennoch halte ich es vorläufig für eine sinnvolle Zielgröße: Im Schnitt gut 50 WKA je Landkreis in Bayern (71 LK und 25 kreisfreie Städte) und 5 je kreisfreie Stadt anzustreben. 3700 WKA in Bayern werden dann in etwa 20 Jahren mit gut 22 GW (Gigawatt = Millionen Kilowatt) et-wa 50 TWh/a erzeugen. Übrigens: Die Landkreise Hof (109 WKA), Ansbach (72), Würzburg (69), Neumarkt Opf (65), Neustadt a. d. Aisch (60), Bayreuth (51), Weißenburg (50), Eichstätt (49) hatten dieses Ziel bereits Anfang 2023 erreicht. 

Ist Bayern dann überlastet? 

In Bayern wird dann alle 19 Quadratkilometer (qkm) – z.B. 4 x 5 km – eine WKA-Strom erzeugen. Im fast gleich dicht besiedelten Schleswig-Holstein arbeitet heute alle 5 qkm eine WKA. Im fast dreimal so dicht wie Bayern besiedelten Nordrhein-Westfalen etwa alle 10 qkm. 

Man kann bei so einer Modellüberlegung an vielen Schrauben drehen. Sie zeigt insgesamt, dass Bayern noch sehr viel Potenzial hat, um auch mit Windkraft Strom zu erzeugen. Windkraft kann nicht durch Photovoltaik ersetzt werden, denn in den Wintermonaten ist die Solarstromerzeugung klein (etwa ein Zehntel der sommerlichen Monatsproduktion) aber sowohl der Stromverbrauch wie auch die Wind-stromerzeugung sind im Winter hoch. 

Entscheidend ist jetzt: Photovoltaik und Windkraft konsequent ausbauen! Bayern braucht jedes Jahr gut 200 neue Windkraftwerke (1,2 GW/a) und gut 2-3 GW neue Photovoltaik. Die Dächer nutzen. Parkplätze solar überdachen und mit Augenmaß und landschaftsgerecht Freilandanlagen bauen. Wichtig bleiben auch Bioenergie, Geothermie und Wasserkraft im EE-Mix. 

28.3.23 Interview Prof. Burger https://www.kyon-energy.de/blog/interview-prof-dr-bruno-burger-fraunhofer-ise-aktuelle-entwicklungen-und-herausforderungen-der-energiewende 

Ausführlich: https://energiesysteme-zukunft.de/ https://energiesysteme-zukunft.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/PDFs/ESYS_Analyse_IntEv.pdf 

Fehlerhinweise oder Verbesserungsvorschläge bitte an: r.Kamm@anti-akw.de Danke!