Den Atomstromimport-Lügen mit Fakten entgegentreten

Im Jahr 2011 wurden in Deutschland acht alte Atomreaktoren abgeschaltet. Frech behaupteten die Atomlobbyisten, Deutschland wäre jetzt von Atomstromimporten abhängig. Am Ende des Jahres zeigte sich hingegen, dass unser Land im Jahr 2011 sogar 6 Milliarden Kilowattstunden Strom (= 6 Terawattstunden, TWh) mehr aus- als eingeführt hat. Im Jahr 2012 erzielten wir bereits einen Rekordüberschuss von 23 TWh. So viel liefern 2 große Atomreaktoren. Im Jahr 2016 ein unglaublicher Ausfuhrüberschussrekord: 54 TWh. Dabei wurden 35 718 GWh Strom für durchschnittlich 4,22 ct / kWh importiert und 84 838 GWh mit durchschnittlich 4,21 ct / kWh exportiert! Es ist also falsch, dass Deutschland „überflüssigen Strom ins Ausland verschenke.“ Windenergie Report Deutschland 2016. Aktuelle Quelle bei energy charts

Wie vor drei Jahrzehnten nach der Tschernobylkatastrophe sind auch nach dem Unfall in Fuku­shima die Atomkonzerne und ihre Anhänger erstmal leise. Direkt für die Atomkraft zu werben, halten sie für unklug. Das werden sie erst in einigen Jahren wieder tun. Zuvor versuchen sie, über Fehlinformationen und eine Strompreiskampagne den Atomausstieg madig zu machen.

Klassisch sind zwei Lügen:

1) wenn wir stilllegen, müssen wir Atomstrom aus Frankreich und Tschechien importieren,

2) das Abschalten der AKW und Umschalten auf Energieeffizienz und Erneuerbare Energien kostet uns sehr viel Geld für den Netzumbau, die teure Photovoltaik usw.

 

  1. Deutschland ist Stromnettoexporteur und hat viele Kraftwerksreserven

http://www.ag-energiebilanzen.de/index.php?article_id=29&fileName=20170207_brd_stromerzeugung1990-2016.pdf  s. Stromaustauschsaldo Ausland

https://www.entsoe.eu/db-query/exchange/detailed-electricity-exchange

https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/logon?language=de&sequenz=tabelleErgebnis&selectionname=43311-0003

1.1. Der internationale Stromaustausch hat eine lange Geschichte und macht Sinn

Schon in den 1920er Jahren bauten RWE aus dem Rhein-Ruhr Gebiet und die Vorarlberger einen Stromverbund zum beiderseitigen Nutzen auf. Denn die Österreicher errichteten viele Wasserkraftwerke und hatten doch im Winter, wenn die Niederschläge als Schnee liegen bleiben, wenig Strom. RWE hingegen ließ im Winter gerne seine Kohlekraftwerke laufen, verkaufte die dabei auch anfallende Wärme (Kraft-Wärme-Kopplung) an die Industrie und Hausbesitzer und transportierte einen Teil des Stromes nach Österreich. Im Sommer ging es andersherum.

1.2. Stromaustausch Frankreich – Deutschland

Gerade Frankreich und Tschechien haben auf die unheilvolle Kombination Atomkraft + Stromheizungen gesetzt. Bei warmem Wetter wollen sie ihre AKW nicht runterregeln und haben überflüssigen Strom, den sie billig anbieten müssen. Bei kaltem Wetter haben sie häufig dramatischen Strommangel und müssen –koste es was es wolle – Strom importieren.

Billig ist der französische und tschechische Atomstrom jedoch nur, weil er nicht die immensen Versicherungskosten zu tragen hat. Die Risiken wälzen die Atomer auf die im Fall des Falles keine Entschädigung erhaltenen Menschen und den Staat ab. Scheinbar billig ist der Atomstrom auch, weil die Konzerne zig Milliarden an Forschungsgeldern und Markteinführungssub­ventionen erhalten haben und insbesondere ihnen Milliarden von Atommüllkosten nicht in Rechnung gestellt, sondern auf unsere Nachkommen verlagert werden. Beispiel Asse 2.

Frankreichs Stromversorgung ist schlecht aufgestellt: Unser Nachbarland hat einseitig auf an 19 Standorten laufende 58 Atomreaktoren gesetzt. Sie decken knapp 80 % des Stromverbrauchs. Deutschland zum Vergleich deckte Ende 2016 rund 16 Prozent seines Strombedarfs aus acht Atomreaktoren. Frankreich muss seine vielen AKW zur Anpassung an den Stromverbrauch rauf und runter regeln. Dies nutzt die Anlagen übermäßig ab. Da zudem die AKW schon abgeschrieben und alt sind, fallen immer auch viele AKW nicht nur wegen planmäßiger Revisionen sondern auch wegen ungeplanter Störungen aus. Wir müssen große Sorgen haben, dass die Franzosen bei niedrigen Temperaturen sich das Abschalten gestörter AKW „nicht leisten können“. Denn die Franzosen heizen ein Drittel ihrer Wohnungen mit Strom. Sinkt im Winter die Temperatur um ein Grad, brauchen die Franzosen 2,3 Gigawatt (= 2,3 Millionen Kilowatt) mehr Strom. Ist es im Winter sehr kalt, liefen in Deutschland zusätzlich viele Kohlekraftwerke auch aus der Kaltreserve, um Frankreich zu versorgen. Ist es im Sommer sehr heiß, müssen französische AKW wegen Kühlwassermangels gedrosselt werden und wieder verkaufen die Deutschen viel Strom nach Frankreich.

Auf eines muss man achten: Die Franzosen liefern erheblich mehr Strom an Deutschland als umgekehrt die Deutschen an Frankreich. Der meiste aus Frankreich nach Deutschland kommende Strom ist jedoch Transitware und fließt weiter nach Österreich oder zur Schweiz und von dort auch nach Italien. Betrachtet man nur die Käufe und Verkäufe von Strom, stellt man überrascht fest, dass Deutschland mehr Strom an Frankreich verkauft als umgekehrt.

 

1.3. Wir haben keinen Kraftwerks- oder Strommangel

Der Nettostrombedarf schwankt in Deutschland zwischen 40 bis 80 Gigawatt (GW = Mio. kW). Und so sieht im Frühjahr 17 unser Kraftwerkspark aus:

Fossile KW. (Braunk. 20,2 Steink. 26,9 Erdgas 22,1* Min.-öl 2,8 Abfall 1,7) 73,7 GW
Sonstige nicht erneuerbare Energieträger 2,8 GW
Atomkraft 10,8 GW
Wasserkraft (Lauf- + Speicherwasser-KW, nicht Pumpspeicher-KW)   5,6 GW
Pumpspeicherkraftwerke (auch Kraftwerke der Nachbarländer, die ins dt. Netz einspeisen)   9,3 GW
Biogas- und feste Biomasse, Deponie- + Klär-, Grubengas, biogene Abfälle   7,6 GW
Windkraft Land + See (31.12.16) 50 GW
Photovoltaik (Stromerzeugung aus Licht) (31.12.16) 41 GW

Quelle: Kraftwerksliste Bundesnetzagentur  16.11.16    *sind BHKW hier enthalten?

Solar- und Windkraft produzieren immer mehr Strom in unserem Land. Aber ihre Leistungen schwanken. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien muss deswegen begleitet werden durch Verbrauchsmanagement („Lastmanagement“), Umbau des Stromnetzes und Schaffung vielfältiger und Energie- und Stromspeicher. Auch großer Pumpspeicherkraftwerke.

 

  1. „Das Abschalten wird die Kunden viel Geld kosten“ behaupten die Atomer

Beispiel Kosten für das Stromnetz. Fast ein Drittel unseres Strompreises entfällt auf die Netzentgelte. Es ist abwegig, dass seit Jahrzehnten die Stromkonzerne ihre Stromleitungen überwiegend abgeschrieben und mit ihnen viel Geld verdient haben und jetzt so tun, als wenn die fälligen Investitionen sie überforderten. Auch BMW und Mercedes stöhnen doch nicht, wenn sie in ihre Fabriken investieren. Das eingesetzte Eigenkapital dieser ziemlich risikolosen Investition in Stromnetze wird laut Aussagen der Bundesnetzagentur noch mit neun Prozent und ab 2019 mit 7 Prozent verzinst. Deutlich mehr als den Betreibern von süddeutschen Windkraftwerken, die größere Risiken tragen, zugestanden wird.

Beispiel Strombörse + EEG. An der Strombörse liegt heute infolge der großen Überkapazitäten der Preis im Schnitt um nur 3 Cent je Kilowattstunde. Stadtwerke und Großverbraucher können deswegen viel billiger einkaufen als noch 2010 oder 2011 gedacht. Allerdings sind die Kosten für das EEG (wie auch das Stromnetz) einseitig verteilt. Kleine und mittlere Unternehmen wie auch Privathaushalte zahlen für die Großen mit.

 

Raimund Kamm